Begriffe kurz erklärt
Regelenergie und Flexibilität gleichen schwankende Produktion und Nachfrage im Stromnetz aus und halten es stabil und sicher. Sie unterliegen allerdings unterschiedlichen Mechanismen:
Flexibilität gehört in Zeiten der Energiewende zu den großen Themen der Branche: Immer mehr Unternehmen versuchen, Flexibilitäten in ihren Produktionsprozessen zu finden und zu nutzen. Der Grund: Bis 2030 sollen 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind- und Solaranlagen kommen. Diese produzieren unabhängig von der Nachfrage – nämlich dann, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Daher wird manchmal zu viel Strom produziert, manchmal zu wenig. Diese Schwankungen führen zu fluktuierenden Preisen im Großhandel und auf dem Regelenergiemarkt. Für die Marktteilnehmer bieten sie sowohl Chancen als auch Risiken.
Allerdings können energieintensive Unternehmen ihre Flexibilitäten nutzen und das Stromnetz stabilisieren. Dies geschieht zum Beispiel, indem sie eigene Erzeugungskapazitäten steuern – etwa Blockheizkraftwerke oder Solaranlagen. Darüber hinaus können viele ihre Produktionsprozesse steuern und ihren Verbrauch anpassen. So leisten sie einen aktiven Beitrag zur Energiewende. Außerdem erwirtschaften Unternehmen mit ihren Flexibilitäten zusätzliche Einnahmen.
Da Flexibilität im heutigen Stromsystem einen großen Wert hat, können Energieversorger, Energiehändler und Industrieunternehmen Flexibilität handeln. Dies nennt sich Flexibilitätsvermarktung.
Am Energiemarkt ergibt sich durch Angebot und Nachfrage für jede Viertelstunde ein Preis für Strom. Dieser ändert sich stetig, sei es durch schwankende Wetterbedingungen oder durch Ereignisse wie Kraftwerksausfälle.
Die Flexibilitätsvermarktung ermöglicht es Energieanbietern, überschüssige Strommengen zu verkaufen oder fehlende Strommengen zu kaufen. Konkret bedeutet dies, dass sie verfügbare Produktions- oder Speicherkapazitäten kurzfristig im Großhandel anbieten können. Auch Unternehmen, die ihren Stromverbrauch reduzieren oder Strom zwischenspeichern können, bieten diese im Großhandel an.
Experten binden die dafür geeigneten Anlagen ins Stromsystem ein. Dazu versehen sie kleinere Anlagen oder Speicher mit einer intelligenten Steuerung und vernetzen in einem größeren Pool – einem virtuellen Kraftwerk. So können kleine Anlagen agieren wie ein großer Marktteilnehmer.
Wer Flexibilitäten handeln möchte, muss sehr schnell auf eine Preisveränderung reagieren. Bei niedrigen Preisen erhöhen Anlagen kurzfristig ihren Stromverbrauch. Bei hohen Preisen speisen schnell zuschaltbare Kraftwerke Strom ein. Ähnlich ist es bei Batterien: Sie speichern bei niedrigen Preisen Strom ein und speisen ihn bei hohen Preisen wieder aus.
Beim Ausgleich von Schwankungen im Stromnetz zählt die Geschwindigkeit. Daher nimmt der Handel mit Flexibilitäten vor allem im kurzfristigen, kontinuierlichen Intradayhandel zu. An der EPEX Spot steigt die Anzahl an Geschäften (Trades) permanent. Hunderte Händler tätigen dort täglich mehrere 10.000 Geschäfte mit Viertelstunden- und Stundenprodukten. Es ist nahezu unmöglich, ohne technische Unterstützung an diesem Markt teilzunehmen.
Erfahrene Energiehändler setzen bei der Vermarktung von Flexibilitäten daher auf Algorithmen. Algorithmen automatisieren den Handel: Sie beobachten den Markt und reagieren blitzschnell – 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. Zum Beispiel kann ein Algorithmus ein Handelsgeschäft im Intraday-Markt auslösen, sobald bestimmte Kriterien eintreten – etwa, wenn die Preise einen festgelegten Wert zum Kauf oder Verkauf erreichen.
Händler stimmen ihre Algorithmen speziell auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ab. Sie programmieren die Algorithmen so, dass sie optimale Resultate erzielen und gleichzeitig Risiken minimieren. Für die Kunden ist der Aufwand gering, denn sie übermitteln ihre Volumen über eine Standardschnittstelle (API). Die Volumen werden automatisiert an den Markt gestellt und abgewickelt.
Unternehmen möchten bei der Flexibilitätsvermarktung Preisveränderungen erkennen und Spielräume durch eigene Flexibilitäten nutzen. Die Liste möglicher flexibler Anlagen ist lang. Oft kommen Anlagen ab etwa 20 MW oder virtuelle Kraftwerke zum Einsatz:
Wenn Erzeuger und Verbraucher ihre Stromeinspeisung flexibel steuern und am Spotmarkt handeln können, erwirtschaften sie zusätzliche Erlöse. Außerdem kann Flexibilität verhindern, dass Netzbetreiber das Stromnetz unnötig stark ausbauen oder sie erneuerbare Energien – bei zu viel Wind und Sonne – abregeln müssen. Somit ist Flexibilität ein wesentlicher Baustein der Energiewende.
Der zunehmende Anteil erneuerbarer Energien und die damit einhergehende schwankende Einspeisung erfordern flexible Lösungen zur Netzstabilisierung. Demand-Side-Management, Batteriespeicher und intelligente Netze (Smart Grids) spielen hierbei eine zentrale Rolle. So gewinnen fernsteuerbare Verbraucher und Erzeuger, aggregierbare Lasten sowie virtuelle Kraftwerke zunehmend an Bedeutung.
Allerdings müssen die verantwortlichen Akteure der Energiewirtschaft das Stromsystem weiterentwickeln, um es effizient und sicher zu gestalten. Themen wie die Digitalisierung, Vernetzung und Sektorenkopplung spielen dabei eine große Rolle. So können Smart Homes, Smart Cities und und Elektromobilität weitere Flexibilität beisteuern: Smarte Technologien können kommunale, gewerbliche oder private Verbraucher je nach Stromangebot und Strompreis steuern oder E-Mobile durch bidirektionales Laden als Stromspeicher einsetzen. Dafür benötigen wir einen fairen und transparenten Markt, der große und kleine Akteure einbindet. Insgesamt bietet die Flexibilität und deren Vermarktung erhebliche Potenziale – sowohl für die Netzstabilität und Versorgungssicherheit als auch zur Kostensenkung im Strommarkt.