Herkunftsnachweise (HKNs) sind die Geburtsurkunden für erneuerbare Energien. Obwohl die Erzeugungsmengen in Deutschland steigen, stammen bisher die meisten HKNs aus Skandinavien. Wir beleuchten die aktuellen Entwicklungen, Neuerungen und deren Auswirkungen für Konsumenten, Unternehmen und Anlagenbetreiber.
August 2024
1. Aktuelle Entwicklungen im Bereich der HKN und ihre Treiber
Zuletzt nahm der Ausbau der erneuerbaren Energien aufgrund politischer Unterstützung und sinkender Gestehungskosten in Deutschland und in Europa zu. Allerdings bliebe die Elektrifizierung von Anwendungen in der Industrie und bei Privatkund:innen hinter politischen Zielen zurück, etwa in den Bereichen wie der Wärmeerzeugung und der E-Mobilität. In Deutschland sind aufgrund des Doppelvermarktungsverbots im EEG und einer bisher geringen Kapazität von nicht-geförderten Wind- und Solaranlagen weiterhin nur sehr geringe Mengen von Herkunftsnachweisen für Ökostrom verfügbar. Auch bei wachsender Zahl der Anlagen, die ohne Förderung gebaut werden, wird es nicht zu signifikant mehr frei verfügbaren HKN kommen, da diese Neuanlagen im Normalfall über langjährige PPAs wirtschaftlich abgesichert sind.
Der Großteil der hierzulande genutzten HKN stammt daher noch immer aus Wasserkraftanlagen aus Skandinavien. Einer der größten Exporteure bleibt Norwegen. Die Diskussion, dass sich das Land aus dem europäischen Zusammenschluss von Registern, der „Association of Issuing Bodies“ (AIB) zurückziehen und die Herkunftsnachweise im Inland nutzen könnte, wurde zuletzt nicht weiter geführt.
Dieser internationale Handel der „Ökostrom-Eigenschaft“ zu vergleichsweise geringen Preisen wird seit langem kritisiert und wird von großen Teilen der privaten Endverbraucher:innen nicht überblickt. Es ist daher verständlich, dass die EU-Kommission mit der erneuerten Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (Renewable Energies Directive RED) unter anderem auf mehr Transparenz und eine Stärkung der Verbraucher:innen-Position abzielt.
Ein Instrument hierfür könnte ein EU-weites Ökostromsiegel darstellen, dessen Einführung in der EU bis Ende 2025 geprüft werden soll. Dieses würde einheitliche Kriterien sicherstellen und Vergleichbarkeit gewährleisten – allerdings sind die Unterschiede in den europäischen Strommärkten groß, sodass einige eine Reduzierung der Anforderung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner befürchten.
Darüber hinaus hat Deutschland in Form des 2023 verabschiedeten Herkunftsnachweisregistergesetzes die Ausweitung des Herkunftsnachweis-Systems auf Gas sowie Wärme und Kälte umgesetzt. Es gibt bereits Zertifikate für den Nachweis – etwa von Biogas, das zu Erdgasqualität aufbereitet und ins Gasnetz eingespeist wurde. So können Anbieter Gaslieferungen aus dem Netz ganz oder teilweise als Gas biogenen Ursprungs deklarieren. Nun folgt ein eigenes Herkunftsnachweisregister für biogene Gase und Wasserstoff. Notwendig wird dies in erster Linie, um die Herkunft aus kohlenstoffarmen oder gänzlich erneuerbaren Energiequellen nachzuweisen.
Somit ist die Einführung des Herkunftsnachweisregisters für Gas ein zentraler Bestandteil der Wasserstoffstrategie des Bundes, denn Herkunftsnachweise für Wasserstoff sind an die Bedingung der beiden zuvor genannten Quellen gekoppelt, sodass Wasserstoff ausgeschlossen ist, der mit Energieträgern fossilen Ursprungs erzeugt wurde. Mit der Einführung des Herkunftsnachweisregisters für Gas wird für 2026 gerechnet.
2. Neuerungen bei Herkunftsnachweisen für Ökostrom
Herkunftsnachweise für Ökostrom sollen im Hinblick auf die Einheit und den zeitlichen Bezug überarbeitet werden: Die Einheit eines HKN soll von einer Megawattstunde auf eine noch zu definierende Größe von mehreren hundert Kilowattstunden verkleinert werden. Ebenso soll vom einem Produktionsmonat auf nahezu Echtzeit-Zeitstempel gewechselt werden.
Zur Erläuterung: Aktuell genügt es, eine bestimmte Menge Herkunftsnachweise für Ökostrom zu entwerten, um die entsprechende Stromlieferung für ein komplettes Jahr als Ökostrom zu deklarieren – und zwar unabhängig davon, wann sie im Kalenderjahr produziert wurden. Damit der Strombedarf eines Unternehmens oder eines Haushaltskundenprodukts zumindest theoretisch durch einen Ökostrombezug gedeckt werden kann, haben einige Akteure (z.B. ein Projekt von 50Hz, Lichtblick, Granular Energy) einen Nachweis mit stündlicher Granularität erarbeitet. Hierbei wird eine stündliche Zeitreihe erstellt, die den Produktionslastgang beispielsweise eines Wasserkraftwerks und den Stromverbrauch gegenüberstellt. Damit soll nachgewiesen werden, dass das Kraftwerk zumindest theoretisch in der Lage gewesen wäre, den Bedarf zu decken. Theoretisch deshalb, weil trotzdem häufig keine physische Lieferung stattfindet, sondern weiterhin nur die Eigenschaft des Stroms übermittelt wird.
Dieser Ansatz wird daher auch kritisiert, da eine physische Lieferung angedeutet wird, die nicht zu mehr Transparenz beiträgt. Bisher ist es anhand von Herkunftsnachweisen des Umweltbundesamtes – die die einzige offizielle Quelle für freiwillig bezogenen Ökostrom in Deutschland darstellen – noch nicht möglich, eine sogenannte Zeitgleichheit von Ökostromlieferung und -erzeugung nachzuweisen.
Dies wird jedoch von vielen Abnehmern gewünscht, etwa um den (physischen) Strombezug mittels Power Purchase Agreements (PPAs) auszuweisen. Deshalb eröffnet die neue Erneuerbare Energien-Richtlinie der EU, die Möglichkeit HKN mit stündlicher Granularität auszugeben. Die Umstellung zumindest auf eine stündliche Granularität der Herkunftsnachweise ist deshalb in Zukunft wahrscheinlich.
Ein weiteres Instrument, um die physische Stromlieferung und dessen Eigenschaft wieder zusammen zu bringen, ist die sogenannte optionale Kopplung von Herkunftsnachweisen. Diese ist an sich nicht neu, wurde aber überarbeitet, um branchenübliche Verträge abbilden zu können, und dient jetzt auch der Strompreiskompensation für Großverbraucher. Industrielle Betriebe können sich also durch den nachweislichen Bezug von Strom aus einer Erneuerbaren-Energien-Anlage Kosten für Emissionszertifikate erstatten lassen. Grundvoraussetzung ist der Nachweis der bilanziellen Stromlieferung aus einem Grünstrombilanzkreis ohne gegenläufige Geschäfte.
Bereits bevor der Leitfaden zur optionalen Kopplung offiziell vom Umweltbundesamt verabschiedet wurde, war das Interesse seitens industrieller Verbraucher groß. Sie wollen dieses Instrument nutzen, um den Strombezug aus Wind- oder Solarparks mittels PPAs nachzuweisen und gleichzeitig die Einsparungen über die Strompreiskompensation nutzen zu können.
3. Vorteile für Konsument:innen, Industrie und Anlagenbetreiber
Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie wachsen Verbreitung und Bedeutung der Herkunftsnachweise. Für Konsument:innen bedeutet das grundsätzlich mehr Transparenz und Verlass darauf, dass ausgewiesene Ökostrom- oder Biogasmengen etc. tatsächlich produziert und nicht mehrmals vermarktet werden, denn das ist das primäre Ziel der Herkunftsnachweise.
Gleichzeitig ergeben sich für Unternehmen neue Wege, Engagement im Bereich der Dekarbonisierung abzubilden und überprüfbar zu machen. Gab es zuvor nur die Möglichkeit, Ökostrom über Herkunftsnachweise oder PPAs zu beziehen und anschließend damit zu werben, lassen sich künftig etwa die physische Lieferung von Strom aus bestimmten Kraftwerken, die Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff oder von Abwärme konkret nachweisen.
Im gleichen Zuge eröffnen sich für Anlagenbetreiber neue Absatzmöglichkeiten, da Herkunftsnachweise abhängig vom Energieträger, Einspeisecharakteristik und Alter der Anlage zum interessanten Handelsgut für industrielle Verbraucher werden. Dies ist eine sinnvolle Entwicklung, um die Eigenschaft des hierzulande erzeugten Ökostroms –
aber auch von Wärme- und Kältelieferungen – zu nutzen, anstatt weiterhin die Eigenschaft der Energieträger überwiegend über günstige Herkunftsnachweise aus dem Ausland abzubilden, wie dies bei Ökostrom bisher der Fall ist. Die Betreiber von Wind- und Solarparks haben die Ausstellung von Herkunftsnachweisen für Anlagen, die aus der Förderung gefallen sind oder ohne Förderung betrieben werden, bisher überwiegend nebensächlich behandelt.
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